Elisabeth Voß

Dipl. Betriebswirtin (FH) und Publizistin, Berlin

16.03.2017: Zum Vernetzungstreffen am 25./26. März 2017 im Berliner Haus der Demokratie

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Irgendwann Anfang diesen Jahres rief mich Hendrik an und fragte, ob ich ihm politische Initiativen, Gruppen etc. benennen könne. Er hätte da einen Auftrag von Peter Grottian bekommen. Ich war neugierig, fragte nach, sagte ihm, dass ich nicht mal eben all meine Infos und Kontakte zusammenstelle und weitergebe, sondern wissen möchte, worum es geht. Er erzählte von der geplanten Vernetzung. Ich sagte, dass ich Vernetzung angesichts von R2G auch wichtig finde, und auch gerne mal zur Vorbereitung kommen würde.

Es dauerte eine Weile, dann wurde ich für den 2. Februar ins Haus der Demokratie eingeladen. Erst dort erfuhr ich, dass Peter Grottian sein Vorhaben bereits im letzten Jahr in der taz angekündigt hatte: „Mehr Apo wagen“: www.taz.de/!5354141/ (taz, 15.11.2016).

Bei diesem Treffen waren außer Peter Grottian und dem Moderator Rainer Wahls von der Vorbereitungsgruppe noch vier Leute (3 Männer, 1 Frau), sowie 3 Gäste und Hendrik anwesend. Anschließend ging ich ziemlich irritiert nach Hause, und notierte kurz darauf in meinem Tagebuch (heute zur Veröffentlichung ergänzt um zwei Anmerkungen):

Wir bauen uns eine Bewegung …

Ein bekannter linker Professor aus Berlin zieht sich nach seiner Emeritierung ins Süddeutsche zurück, ohne die Hauptstadt ganz aus dem Blick zu verlieren. Er sieht Rot-Rot-Grün und stellt fest: „Oft sind soziale Bewegungen der Zeit weit voraus, aber zuweilen pennen sie gewaltig“. Die BerlinerInnen rühren sich nicht, obwohl doch der Senat „eine Stabsstelle/einen Beauftragten für 'Bürgerengagement und Demokratie' oder eine Stelle für 'Mehr Demokratie'“ einrichten möchte, mit einem „Etat von 10 Millionen“. Potzblitz, da liegen doch „die Hausaufgaben für die außerparlamentarischen Initiativen auf der Hand: Aufbau eines Netzwerkes“ (Peter Grottian am 15.11.2016 in der taz).

Aber die stadtpolitischen Gruppen machen ihre Hausaufgaben einfach nicht. Denen wird er jetzt mal zeigen, wo es lang geht. Er findet ein paar ältere Herren und eine ältere Dame, die mitmachen möchten (Anm.: Das ist nicht ageistisch gemeint, nur beschreibend – ich gehöre selbst der älteren Generation an).

Aber wer soll nun alles vernetzt werden? Die Szene ist so unüberschaubar geworden, da muss erstmal eine Erhebung her, um zu wissen, wer zur Netzwerk-Gründung eingeladen werden sollte. Also beauftragt der Professor einen jungen Sozialwissenschaftler, der ebenfalls keinen Überblick hat. Sein Auftrag: Personen aus sozialen Bewegungen befragen, und möglichst viele Namen von Initiativen, Gruppen und Projekten sammeln. Daraus könnte dann ein alternatives Adressbuch entstehen, so wie damals das Stattbuch, damit es endlich wieder übersichtlich wird in Berlin.

Das Bewegungs-Netzwerk – Arbeitstitel Napi/Netzwerk für außerparlamentarische Initiativen – soll schon bald gegründet werden, auf einer Tagung mit prominenten ReferentInnen und ermutigenden Vernetzungsbeispielen aus anderen Städten, an denen sich die BerlinerInnen mal ein Vorbild nehmen können. Hamburg oder Barcelona vielleicht. Anschließend können die Eingeladenen dann in einem Open Space zueinander finden – das Netzwerk soll ja schließlich keine Top-Down-Gründung werden, sondern basisdemokratisch entstehen. Die Vorbereitungsgruppe wird den Namen „Berlin von Unten“ vorschlagen, aber selbstverständlich können auch spontan andere Vorschläge eingebracht werden. Hauptsache, am Ende des 2-tägigen Treffens wird das Netzwerk gegründet. Etwas Geld müsste vorher besorgt werden, damit nicht gleich wieder alles auseinander läuft. Vielleicht sollte ein Bewegungsleiter eingestellt werden, oder eine Leiterin?

Die Vorbereitungsgruppe wird moderiert von einem schon etwas älteren, aber noch lange nicht pensionierten Aktivisten, der sich gerne selbst reden hört. Sie lädt sich einzelne Personen aus Bewegungen ein, berät mit ihnen, wie so ein Netzwerk groß und stark werden kann. Reicht Vernetzung als Ziel? Oder sollten nicht die aktuell drängendsten Fragen vorab formuliert werden, zum Beispiel das Thema Recht auf Stadt? Oder lieber ein Netzwerk gegen den Rechtsruck?

Na egal, Hauptsache Vernetzung, the wind of change, hört ihr ihn?

Und dann?

So weit mein Tagebucheintrag, abgelegt zu meiner persönlichen Erinnerung an dieses merkwürdige Treffen. Von dem Vorhaben hörte ich dann nichts mehr, obwohl ich meine Mailadresse am 2. Februar in eine Liste eingetragen hatte. Halt ein weiterer misslungener Versuch, ich hatte auch nicht mehr erwartet. Dann traf ich zufällig am 27. Februar beim Förderbeirat von Netzwerk Selbsthilfe auf Sarah vom Haus der Demokratie. Sie berichtete, dass sie eine Stelle schaffen möchten zum Aufbau eines Netzwerks. Und dann kam am 6. März ihre Mail mit umfangreichen Unterlagen zur Vorbereitung des Treffens am 25./26. März, und mit einer Einladung zu einem Vorbereitungstreffen am 17. März.

Peter + Rainer planen ein Netzwerk

Seit Jahrzehnten gibt es Ansätze, politische Bewegungen in Berlin zu vernetzen. Dauerhafte Strukturen sind daraus bisher nicht entstanden, es sind jedoch zumindest lose Zusammenhänge geblieben, auf die auch aktuelle Bewegungen zurückgreifen können. Und es stimmt einfach nicht, dass die Berliner Bewegung „pennt“, wie Peter Grottian behauptet – schön top-down als Beschimpfung in der taz zu lesen, nicht etwa face-to-face als solidarische Kritik im Kreis alter MitstreiterInnen zur Diskussion gestellt. Mich erinnert das an Peters taz-Artikel „Niedergang von Attac – Erstarrte Bewegung“ vom 9. Februar 2016: www.taz.de/!5272266/ Darin kritisiert er ebenfalls herabsetzend, und macht dann Vorschläge, was zu tun sei. Aus der Antwort von Attac: „Menschen wählen ihre Aktionsformen selbst, sie werden nicht von oben herab angeordnet – nur so funktioniert Basisdemokratie. Es gibt keine einfache Antwort auf die Herausforderungen an Soziale Bewegungen. Du beschränkst dich darauf, überheblich mahnend den professoralen Finger zu erheben und redest das klein, was die Menschen, die überhaupt noch aktiv sind, an politischen Aktionen auf die Beine stellen.“ http://www.attac.de/neuigkeiten/detailansicht/news/offener-brief-an-peter-grottian/

Und jetzt sind also die Berliner Bewegungen an der Reihe, ermahnt zu werden. Dabei tut sich doch eine ganze Menge in der Stadt, in den Antiprivatisierungs- und Demokratiebewegungen, in der Solidarität mit Geflüchteten, neue Allianzen finden sich bei den Kämpfen um MieterInnen-Rechte gegen Zwangsräumungen und für eine Stadt für Alle usw.

Das Haus der Demokratie hatte schon im letzten Jahr einen Versuch gemacht, und für den 25. September 2016 zu einem „1. Tag der Sozialen Bewegungen“ eingeladen – als hätten sich bis dahin die Bewegungen dieser Stadt noch nie getroffen, und nur darauf gewartet, dass sie endlich mal wer einlädt.

Die Vorbereitungsunterlagen, die Sarah am 6. März verschickt hat, bestätigen meine Skepsis. Da gibt es „Leitlinien für unser Netzwerk/Bündnis“, in dem mit sechs Paragrafen (!) die politische Ausrichtung und Arbeitsweise des Netzwerks festgelegt wird. Das geht so weit, dass schon beschrieben ist, wie Beschlüsse zu formulieren sind. Das sind natürlich nur Vorschläge. Darüber soll am 25./26. März entschieden werden, ebenso wie über den Entwurf „Elemente des Netzwerks“, der „nach einer internen Debatte“ von Peter Grottian und Rainer Wahls formuliert wurde. Das Netzwerk soll sich halbjährlich treffen, es sind 2 MitarbeiterInnen vorgesehen, die mit 10-12 weiteren Leuten die Koordinierungsgruppe bilden. Für einen Beirat werden bereits mehr oder weniger prominente Namen genannt: „Roth oder Rucht, Walck, Scheub, Holm, Grottian, Schrott, Passadakis, Rating, Kaul, Genschel, Nowakowski, Dahn etc. + 2-3 Aktivisten mit Erfahrungen.“ Vorgesehen ist ebenfalls, dass das „Büro für ungewöhnliche Maßnahmen“ von Kurt Jotter „als 'außerparlamentarische Eingreiftruppe', die rasch auf Missstände und Konfliktlagen in der Stadt reagiert“ eingesetzt wird.

Na dann kann ja nichts mehr schief gehen, wenn das schon alles so gut vorbereitet ist, oder wie oder was?

Das ist nicht mein Netzwerk

Sorry, liebe Leute, aber das geht mir zu weit! Sicher wäre es gut, wenn sich die vielen Berliner Bewegungen zusammen täten, um R2G kritisch zu begleiten und Druck von unten aufzubauen, um die in den Parlamenten, auf Stadtrats- und Senatorinnenposten an ihre Versprechen zu erinnern, und eigene Forderungen zu stellen. Aber hat nicht, wer auf angekündigte Stabsstellen und einen 10-Millionen-Etat reagiert, und sich als Ansprechpartner andienen will, längst verloren? Haben nicht diejenigen, die schon für Posten vorgeschlagen sind, längst ausgespielt? Wer sich selbst und seinen Freundeskreis benennt, bevor überhaupt eine Versammlung stattgefunden hat, auf der irgend etwas Gemeinsames festgelegt wurde, und dann vielleicht (!) auch Personen demokratisch legitimiert werden könnten – wer sich solcherart ins Spiel bringt, ist für mich verbrannt. Eine Stelle beim Haus der Demokratie einzurichten, fände ich nach diesem Vorlauf falsch.

Ja, es wäre schön, wenn es irgendwer hinbekäme, einen offenen Raum zu organisieren, in dem sich Leute aus Bewegungen über Vernetzung austauschen. Von einer solchen Basis aus könnte über gemeinsame Strukturen beratschlagt werden. Aber eine Diskussion führen auf der Basis all dieser Vorgaben? Warum soll ich mich abarbeiten an dem, wie sich einige Wenige ausgedacht haben, wie so ein Netzwerk aussehen sollte? Tut mir leid, aber das ist nicht mein Netzwerk. Ich mag mir keine Hausaufgaben erteilen lassen, und ich bin auch nicht bereit, dieses nach meiner Wahrnehmung top-down organisierte Netzwerk durch meine Mitwirkung zu legitimieren.

Ergänzung:

Diese Vernetzungsdiskussion kehrt in unterschiedlichen Formen immer wieder. Ein paar grundsätzliche Überlegungen dazu hatte ich mal im Zusammenhang mit Diskussionen in Solidarische-Ökonomie-Zusammenhängen in CONTRASTE 326 (11/2011) aufgeschrieben: „Wie kann ein Forum so gestaltet werden, dass es einerseits mit interessanten Themen viele Interessierte anzieht, andererseits aber auch genug Raum lässt, dass die zukünftigen Mitglieder des Netzwerks dieses als ihr eigenes gestalten? Denn ein lebendiger Zusammenhang lässt sich nicht planen und für andere organisieren, sondern kann nur von den Beteiligten selbst entwickelt werden. Einem vorgefertigten Netzwerk beizutreten, wird nur Wenige motivieren. Erst das eigene Engagement schafft die Bindung, die für eine längerfristige Zusammenarbeit erforderlich ist.“
https://de.groups.yahoo.com/neo/groups/contraste-list/conversations/messages/19147

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