Elisabeth Voß

Dipl. Betriebswirtin (FH) und Publizistin, Berlin

08.02.2017: Ausschuss für Stadtentwicklung, Tempelhof-Schöneberg

Bericht von Elisabeth Voß, Bürgerdeputierte („sachkundige Bürgerin“ gem. § 20 BezVerwG) in Zusammenarbeit mit der Fraktion Die Linke

Die Tagesordnung ist recht umfangreich, auch weil es noch eine Reihe unerledigter Drucksachen aus dem letzten Jahr gibt (Anmerk. 1). Ich werde mich mit meinem Bericht auf wenige Tagesordnungspunkte und bemerkenswerte Ereignisse beschränken, das offizielle Protokoll wird online veröffentlicht (Anmerk. 2).

Der Ausschuss tagt im Bezirksamt Schöneberg, gleich unten im großen Saal. Eine männerdominierte Runde: 17 Verordnete und 4 Bürgerdeputierte, davon 5 Frauen und 16 Männer. Außerdem reichlich Publikum, manche halten Schilder gegen die Nachverdichtung der Siedlung „Am Mühlenberg“. Zwei VertreterInnen der Mühlenberg-Initiative bekommen ein Rederecht von je 3 Minuten zugestanden.

Stand der Planungen für eine Verdichtung der „Siedlung Am Mühlenberg“

Kurzinfo der Autorin: Die städtische Wohnungsbaugesellschaft Gewobag möchte die Siedlung „Am Mühlenberg“, hinter dem Rathaus Schöneberg im Bayrischen Viertel, nachverdichten. Dagegen wehren sich die AnwohnerInnen.

Bezirkstadtrat Jörn Oltmann (B90/Grüne) berichtet, dass es einen BVV-Beschluss dazu gäbe (Anmerk. 3), dass er jedoch sehr unzufrieden sei mit dem derzeitigen Verfahrensstand. Er sei überhaupt nicht einverstanden mit dem, was bisher planerisch vorgelegt wurde. Ursprünglich seien ja 800 Wohnungen geplant gewesen, das sei vom Tisch, es werden weniger als 200, irgendetwas zwischen 0 und 200 Wohnungen.

Auf die Frage nach dem Verbleib der Seniorenfreizeitstätte berichtet der Leiter des Stadtplanungsamtes, Siegmund Kroll, dass sie verlagert werden soll in den Neubau auf der alten Spielplatzfläche. Bis zum Neubau bleibe jedoch die alte Freizeitstätte bestehen. Der Ausschussvorsitzende Axel Seltz (SPD) betont, es würden keine Tatsachen geschaffen ohne Bürgerbeteiligung. Jörn Oltmann sagt, es seien weitere Informationsveranstaltungen geplant. Auf die Frage, was denn genau seine Kritik an den derzeitigen Plänen sei, führt er aus, es sei vor allem die Platzierung der Baukörper. Die BVV habe den Auftrag erteilt, bei der Verdichtung darauf zu achten, dass die Siedlung begrünt und durchlichtet sei.

Dann bekommt Jörg Simon von der Mühlenberg-Initiative das Wort. Er führt aus, dass für das Gebiet ein gültiger Bebauungsplan aus dem Jahr 1962 vorliegt. Es sei nie dargelegt worden, warum es für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung überhaupt notwendig sei, eine neue Bauleitplanung gemäß § 1 (3) BauGB aufzustellen. Versäumt wurde eine gesamtstädtische Analyse. Daher gäbe es keine städtebauliche Veranlassung für die Überplanung des bestehenden Planes. Die Verordneten weist er darauf hin, dass sie mit Ihrer Forderung nach zu einem vorhabenbezogenen Bebauungsplan ihre eigenen Entscheidungsmöglichkeiten aus der Hand geben.

Anschließend spricht Frau Thiele, ebenfalls von der Initiative, aber wohl von einer anderen Fraktion, die nicht ganz so radikal gegen jede Nachverdichtung ist. Allerdings berichtet sie von Alarmstimmung im Quartier, die NachbarInnen würden sich von der Politik nicht ernst genommen fühlen. Der Siegerentwurf des Architektenwettbewerbs würde deutlich von dem ursprünglich Besprochenen abweichen. Die bisherige Bürgerbeteiligung hätte die Leute aufgebracht. Sie wissen nicht, wie viele Wohnungen gebaut werden sollen, und fürchten, dass ihre Wohnungen verschattet werden.

Ralf Kühne (B90/Grüne) macht seinem Ärger über Jörg Simon Luft, und wirft ihm vor, er würde Unfug reden, was er behaupte, sei reiner Populismus. Mit einem vorhabenbezogenen Bebauungsplan würden die Verordneten überhaupt keine Rechte abgeben, das seien alternative Fakten. Der Bebauungsplan von 1962 basiere auf der Idee von einer autogerechten Stadt, heute gäbe es andere städtebauliche Vorstellungen, und natürlich müsse neu gebaut werden.

Jörn Oltmann erläutert, es gäbe einen bezirklichen Wohnungsmarktbericht und einen politischen Auftrag zu bauen. Sobald die neuen Planungsüberlegungen beendet sind, würde das in den Ausschuss gegeben.

Jörg Simon meldet sich zu Wort, aber Axel Seltz lässt ihn nicht mehr sprechen, denn er habe seine vereinbarten drei Minuten Rederecht bereits gehabt. Jörg Simon versucht Ralf Kühne etwas zu entgegnen, aber Axel Seltz droht ihm mit Rauswurf, wenn er nicht ruhig ist.

Ich melde mich – meine erste Wortmeldung in diesem Ausschuss – und beantrage Rederecht für Jörg Simon, damit er die Gelegenheit bekommt, auf die Beleidigungen durch Ralf Kühne zu reagieren, insbesondere auf die Unterstellung, er würde „alternative Fakten“ verbreiten. Ich hatte es kaum anders erwartet, außer Christine Scherzinger (Linke) unterstützt keine/r den Antrag, und Axel Seltz bittet Jörg Simon zu gehen, was dieser auch tut, und mit ihm 20 oder mehr enttäuschte NachbarInnen. Hätte nicht der Ausschussvorsitzende selbst eingreifen müssen bei einer solchen Beleidigung, und den beleidigenden Verordneten zur Ordnung rufen müssen? Warum müssen sich EinwohnerInnen das gefallen lassen?

Wahrnehmung von Vorkaufsrechten durch den Bezirk allgemein und konkret im Falle Grunewaldstraße 87

Kurzinfo der Autorin: Das Gebäude Grunewaldstraße 87 ging 2015 als sog. Horrorhaus durch die Medien: Der Eigentümer hatte die freien Wohnungen plötzlich mit zahlreichen Menschen aus osteuropäischen Ländern überbelegt. Gemeinsam mit ihren Nachbar*innen reagierten die verbliebenen Mieter*innen jedoch nicht rassistisch, sondern solidarisch. Heute wehren sie sich gegen die Umwandlung in Eigentumswohnungen.

Jörn Oltmann betont, es sei überhaupt nicht okay, wie sich Eigentümer und Verwalter der Grunewaldstraße 87 verhalten. Jedoch habe der Bezirk in einem Erhaltungsgebiet nur dann ein Vorkaufsrecht, wenn eine Immobilie frei verkauft würde, aber zum Beispiel nicht, wenn es zur Zwangsversteigerung komme. Der Bezirk würde jedoch an einer Lösung arbeiten. Im März soll es eine MieterInnen-Versammlung geben, der Termin würde am nächsten Tag bekannt gegeben. Eine Verkaufsabsicht sei jedoch dem Bezirk bisher nicht bekannt.

Marija Kuehn-Dobos aus der Grunewaldstraße 87 widerspricht, und berichtet, dass es Kaufinteressierte gäbe, die auch schon im Grundbuchamt Einsicht genommen hätten. Im Moment seien 19 Wohnungen an Altmieter vermietet, sowie einige vorübergehend belegt, unter anderem mit Bauarbeitern.

Dann referiert ein Fachmann aus der Bezirksverwaltung über die vielen Facetten des bezirklichen Vorkaufsrechtes. Anschließend melden sich einige zu Wort, auch Christine Scherzinger und ich. Als  wir beide an der Reihe wären, beantragt Peter Rimmler (CDU) das Ende der Debatte. Erstaunt fragt Axel Seltz, ob er wirklich die Debatte sofort beenden möchte, oder vielleicht das Ende der Redeliste beantragen wolle? Nein, er will die Debatte beenden. Lediglich zwei Verordnete von B90/Grüne stimmen dagegen, alle anderen verbieten Christine Scherzinger und mir den Mund, einfach so. Ob das auch im Sinne der „Gestaltung des Miteinanders im Interesse einer gedeihlichen und produktiven Zusammenarbeit“ ist, wie sie Axel Seltz in seiner Antrittsmail als Ausschussvorsitzender vom 15.01.2017 anregte?

Ich hatte zweierlei sagen wollen. Das eine – meinen Wunsch, dass wir die fachlichen Ausführungen zum Vorkaufsrecht schriftlich bekommen, die der Referent bei seinem Vortrag bei sich hatte – kann ich am Schluss noch unter „Verschiedenes“ unterbringen, und Jörn Oltmann sichert zu, das zu prüfen. Das andere bleibt ungesagt: Ich wollte dafür plädieren, dass auch und gerade weil das Vorkaufsrecht anscheinend ein schwieriges und oft auch nicht greifendes Instrument ist, es doch gerade in den Fällen, wo es doch möglich ist, unbedingt eingesetzt werden solle. Der Tenor, in dem das Thema im Ausschuss verhandelt wurde, schien mir Ausdruck einer politischen Verzagtheit, der ich etwas entgegensetzen wollte. Denn meines Erachten sollte der Bezirk jede Möglichkeit ergreifen, günstigen Wohnraum zu erhalten, so wie es in der letzten Wahlperiode zum Beispiel Sibyll Klotz vorbildlich bei den Häuser Großgörschen-/Katzlerstraße getan hatte, wogegen nun jedoch die Verkäuferin Bima klagt. (Anmerk. 4)

„Mietenbündnis – die Lücke schließen“ in Verbindung mit „GEWOBAG droht mit Mieterhöhungen (bis zu 15%): Aussetzung der Mieterhöhung erwünscht!“

Kurzinfo der Autorin: Ausgerechnet die öffentliche Wohnungsgesellschaft Gewobag verlangt von MieterInnen in Schöneberg bis zu 15 Prozent Mieterhöhung. Auf seiner Sitzung am 18.01.2017 forderte der Quartiersrat Schöneberger Norden in einen Offenen Brief an alle Beteiligten, die Mieterhöhungen zurück zu nehmen und die Begrenzung der Mieterhöhungen aus der Koalitionsvereinbarung umzusetzen.

Für diesen Tagesordnungspunkt erklärt sich Axel Seltz für befangen, und gibt die Sitzungsleitung an den stellvertretenden Ausschussvorsitzenden Ralf Kühne ab. Eine Begründung gibt es nicht, ich kann nur vermuten, dass die Befangenheit daher rührt, dass Axel Seltz (so weit ich weiß) bei Stadt und Land arbeitet, und daher für den ganzen Themenkomplex städtischer Wohnungsgesellschaften befangen ist. Erst hinterher frage ich mich, warum diese Befangenheit dann nicht auch für den Tagesordnungspunkt Am Mühlenberg galt, in dem es doch auch um die Gewobag ging.

Bertram von Boxberg (B90/Grüne) berichtet, dass Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher zugesichert habe, eine Vereinbarung zur Rücknahme der Mieterhöhungen mit der Gewobag zu treffen, und dass die Grünen in der BVV einen Antrag an die BVV stellen wollen zur Mieterberatung (Anmerk. 5). Die der Linken werden einen Antrag stellen, dass der Bezirk die Bemühungen von Katrin Lompscher unterstützt. Jörn Oltmann erklärt, das bringe nicht viel, die Linke könne doch als Teil der Regierungskoalition ihren Einfluss über die Abgeordnetenhausfraktion und den Senat direkt geltend machen. (Anmerk. 6)

Ich melde mich zu Wort und weise darauf hin, dass ja Katrin Lompscher nicht direkt in ein privatrechtlich verfasstes Wohnungsunternehmen reinregieren kann (Anmerk. 7), und dass deswegen politischer Druck wichtig sei. Das Thema ist ja überhaupt erst durch eine Veranstaltung des Quartiersrates Schöneberger Norden öffentlich geworden, weil sich betroffene MieterInnen gewehrt haben. Da sei es doch wichtig, dass sich auch die BVV politisch positioniert.

Was nehme ich mit?

Aus meiner ersten Ausschusssitzung nehme ich Erstaunen und eine Reihe von Fragen mit. Erstaunen darüber, wie abgeschottet und selbstbezogen ich dieses Gremium beziehungsweise seine Mitglieder erlebt habe, und wie wenig Interesse und Offenheit sowohl gegenüber den EinwohnerInnen, als auch gegenüber Aussagen und – möglicherweise abweichenden – Positionen von Ausschussmitglieder ich wahrgenommen habe. Mitunter schien mir der politische Gestaltungswille zu fehlen.

Fragen habe ich zum einen dazu, ob es formal korrekt war, dass Jörg Simon sich beleidigen und wegschicken lassen musste. Zum anderen möchte ich nun herausfinden, was an diesen Vorhabenbezogenen Bebauungsplänen dran ist, denn ich weiß von mehreren Initiativen im Bezirk, die diese als Instrumente bezeichnen, mit denen die Interessen von Investoren bedient werden. Auch andere Fragen des Bauplanungsrechts werden mich noch weiter beschäftigen.

Anmerkungen:

(1) Die letzte Ausschusssitzung in der vergangenen Wahlperiode fand am 14.09.2016 statt, dann war wahlbedingt Pause. Die 1. Sitzung des Stadtentwicklungsausschusses in der neuen Wahlperiode am 11.01.2017 diente nur der Konstituierung.

(2) Tagesordnung und Dokumente zur Sitzung am 08.02.2017: www.berlin.de/ba-tempelhof-schoeneberg/politik-und-verwaltung/bezirksverordnetenversammlung/online/to010.asp

(3) BVV-Beschluss vom 27.08.2014: www.berlin.de/ba-tempelhof-schoeneberg/politik-und-verwaltung/bezirksverordnetenversammlung/online/to020.asp

(4) Mehr zur Großgörschen-/Katzlerstraße: iggroka.de  

(5) Der Antrag von B90/Grüne „Mieter*innen stärken – die Mieterberatung im Bezirk entwickeln“ wurde – mit Änderungen durch Die Linke – zusammen mit SPD und Linken am 15.02.2017 in die BVV eingebracht und beschlossen:https://www.berlin.de/ba-tempelhof-schoeneberg/politik-und-verwaltung/bezirksverordnetenversammlung/online/vo020.asp?VOLFDNR=5901

(6) Der Antrag der Linken zur „Rücknahme der Mieterhöhungen bei städtischen Wohnbaugesellschaften“ wurde gemeinsam mit der SPD am 15.02.2017 in die BVV eingebracht und mit den Stimmen von B90/Grüne beschlossen:http://www.berlin.de/ba-tempelhof-schoeneberg/politik-und-verwaltung/bezirksverordnetenversammlung/online/vo020.asp?VOLFDNR=5896

(7) Der Gesetzentwurf des Mietenvolksentscheid von 2015 hatte unter anderem vorgesehen, die öffentlichen Wohnungsgesellschaften von ihrer bisherigen privatrechtlichen Form (AGs und GmbH) in politisch steuerbare Anstalten öffentlichen Rechts (AöR) umzuwandeln. Als Ergebnis der Verhandlungen, aufgrund derer der Volksentscheid abgeblasen wurde, bleiben die AGs und GmbHs bestehen, und es wurde eine „Wohnraumversorgung Berlin“ (WVB AöR) gegründet, die sie bei der Erfüllung ihrer Aufgaben kontrollieren soll, und mittlerweile ihre Arbeit aufgenommen hat: http://www.stadtentwicklung.berlin.de/aktuell/pressebox/archiv_volltext.shtml?arch_1702/nachricht6302.html