Elisabeth Voß

Dipl. Betriebswirtin (FH) und Publizistin, Berlin

Orte des Willkommens in Deutschland?

Hier sammle ich Informationen und Links zu Orten des Willkommens in Deutschland, mit dem Schwerpunkt ländliche Regionen und schrumpfende Städte.


Grundlegendes

Das Thema ist vielschichtig und ambivalent. Ob Flüchtlinge in ländlichen Räumen und schrumpfenden Orten leben möchten, sollte nur mit ihnen gemeinsam diskutiert und ggf. umgesetzt werden. Das setzt voraus, dass das Recht eines jeden Menschen auf freie Wahl des Wohnortes selbstverständlich auch für Geflüchtete gilt, und nicht durch Zuweisungen und Residenzpflicht eingeschränkt wird. Nur dann ist gewährleistet, dass sich nicht Auffassungen durchsetzen, die mit autoritärer Geste Menschen benutzen möchten, um strukturelle Probleme zu lösen, die nicht zuletzt auch durch verfehlte Politik entstanden sind, wenn zum Beispiel ländliche Regionen mit der Einstellung öffentlicher Infrastrukturen wie Schulen, Krankenhäuser und Nahverkehr heruntergewirtschaftet wurden. Schlimmstenfalls landet eine solche Top-Down-Herangehensweise bei Forderungen der AfD.

Umgekehrt sind Ansätze einer Nutzung brachliegender Flächen und Gebäude für den Aufbau nachbarschaftlicher Strukturen jenseits hochpreisiger Metropolen zu begrüßen, wenn sie die Bedürfnisse der Menschen unterschiedlicher sozialer Schichten, unterschiedlicher Herkünfte und Bedürfnislagen erfüllen. Soche Vorhaben gemeinsam mit den (zukünftigen) BewohnerInnen zu entwickeln und partizipativ zu gestalten, dürfte eine der großen Herausforderungen solcher Siedlungspolitk sein. Diese sollte nicht alte Fehler wiederholen, und auf betriebswirtschaftliche und marktgerechte Lösungen setzen, sondern der Politik eine eigenständige Steuerungsfunktion einräumen, um wenigstens ansatzweise gleichwertige Lebensverhältnisse in unterschiedlichen Regionen herzustellen.


11.01.2017: Buchbesprechung

Gut gemeint

Nachdem Daniel Fuhrhop mit Verbietet das Bauen ein leidenschaftliches Statement gegen die profitgesteuerte Neubauwut verfasst hat, möchte er seine Vorschläge für einen anderen Umgang mit der Wohnungsfrage nun auch auf die Schaffung von Wohnraum für Flüchtlinge anwenden. „Willkommensstadt“ ist ein gut gemeinter und in wohlwollendem Ton abgefasster Versuch, gleichzeitig Argumente gegen den Neubau von Wohnungen und für die Schaffung von Platz für Geflüchtete vorzulegen. Aber ...

Weiterlesen im Blog Wem gehört die Welt

Am 26.01.2017 hat der Autor ausführlich auf meine Buchbesprechung geantwortet.

Daniel Fuhrhop: Willkommensstadt – Wo Flüchtlinge wohnen und Städte lebendig werden, oekom verlag München 2016.


Flüchtlinge im ländlichen Raum

Am 2. Dezember 2016 wurde auf einer Integrationstagung des Deutschen Landkreistages die Integration von Flüchtlingen im ländlichen Raum diskutiert. Grundlage waren die Ergebnisse einer Studie, die anhand der Erfahrungen aus 18 Landkreisen "strategische Leitlinien und Best Practices" präsentierte: Pressemitteilung des Deutschen Landkreistages und Studie Integration von Flüchtlingen im ländlichen Raum (pdf). Die Online-Zeitung Migazin berichtet am 05.12.2016 im Beitrag De Maizière sieht durch Flüchtlinge Chance für ländliche Räume, dass der frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Wolfgang Huber, dort für "sinnvolle Wohnsitzauflagen" plädierte.


Weimar: Uni-Projekt Willkommensstädte

Die Bauhaus-Universität Weimar führte im Sommersemester 2015 das Projekt Willkommensstädte durch. Untersucht wurden Willkommensstrukturen in sechs thüringischen Orten (Erfurt, Gera, Jena, Artern, Meinigen und Mühlhausen). Die Studiengruppe veröffentlichte ihre Ergebnisse und Empfehlungen in einem Abschlussbericht (pdf).

Mehr zur Flüchtlingsarbeit an der Uni Weimar.

Prof. Dr. Frank Eckardt leitete das Projekt und veröffentlichte den Beitrag: Flüchtlinge nach Ostdeutschland? Dezember 2015, Blätter für Deutsche und Internationale Politik


Zuflucht Wendland – Zuwanderung als Chance

Nach dem zweiten Weltkrieg kamen 30.000 Flüchtlinge ins Wendland. Nun möchte diese Initiative Jetzt: 10.001 Flüchtlinge einladen.

Mehr hier: zufluchtwendland.de

Am 2. Juli 2016 fand die Gründungsversammlung der Hitzacker Dorf eG i.Gr. statt. Die Genossenschaft möchte ein Dorf für 300 Personen mit und ohne Fluchtbiografie in Hitzacker bauen.


Flüchtlingssolidarität im Westerwald

Im Westerwald (im Dreiländereck von Rheinland-Pfalz, Hessen und Nordrhein-Westfalen) hat Solidarität eine jahrzehntelange Tradition. Seit den 1980er Jahren haben sich dort fast 100 Selbstständige und Kleinunternehmen aus Handwerk und Handel, Medien und Beratung, Gesundheit und Bildung zum Westerwälder Initiativen- und Betriebe-Netz (WIBeN) zusammengeschlossen. Sie unterstützen sich gegenseitig, unter anderem mit einem Solidaritätsfonds für Einnahmeausfälle und persönliche Notsituationen. Seit 2015 haben sie zusätzlich einen regionalen Spendenfonds für Flüchtlinge eingerichtet. Neben der direkten Unterstützung, zum Beispiel für medizinische Leistungen oder rechtliche Beratung, werden daraus auch Solidaritätsstrukturen finanziert. So wurde eine Fahrradwerkstatt eingerichtet, Patinnen und Paten können Fahrtkostenzuschüsse bekommen etc. Auch das Alarmphone wurde vom Flüchtlingsfonds unterstützt.

Elisabeth Voß: Solidarisch und regional – Beim Westerwälder Initiativen- und Betriebe-Netz „WIBeN“ wird gegenseitige Unterstützung großgeschrieben – und das schon seit 30 Jahren! Oya  34, September 2015


Genossenschaft Sögel

Am 17.09.2015 wurde die Willkommen in Sögel eG: Bürgergenossenschaft für Menschen in Not gegründet. Eine Beteiligung ist schon mit 100 Euro möglich. Sie möchte Gebäude errichten und erwerben, und die Wohnungen für Flüchtlinge und Menschen mit geringem Einkommen zur Verfügung stellen. Im Dezember 2015 wurde bereits mit dem Bau des ersten Hauses begonnen.


Solidarische Europäische Dorfbewegung

Ausgehend von Schweden und Norwegen formiert sich seit den 1990er Jahren eine europäische Dorfbewegung, die eine gemeinsame Interessenvertretung anstrebt. Im November 2015 versammelte sich im österreichischen Schärding ein Europäisches Dorfparlament (European Rural Parliament) mit VertreterInnen aus 37 Ländern. Dort wurde ein Manifest verabschiedet, in dem die Unterstützung der Regierungen und europäischen Institutionen eingefordert wird, um den Niedergang der Dörfer umzukehren.

Im Manifest ist auch der Wunsch nach Integration von Flüchtlingen formuliert, als Teil einer insgesamt wünschenswerten und zukunftsfähigen Dorfentwicklung. Aus Deutschland war das Brandenburgische Netzwerk für Lebendige Dörfer vertreten.

European Rural Parliament: Europäisches Ländliches Manifest, Schärding, 06.11.2015

Die Partei Die Linke unterstützt die Dorfbewegung als Demokratieprojekt.


Ein paar Medienberichte zur Aufnahme von Flüchtlingen in ländlichen Regionen

Golzow (Brandenburg, bekannt durch die Langzeit-Filmdokumentation Die Kinder von Golzow):

Simone Gaul: Die neuen Kinder von Golzow, Zeit Online am 14.09.2015

Heike Klovert: Flüchtlinge retten Grundschule: Syrische Kinder für Golzow, Spiegel Online, 10.09.2015

Ernst-Ludwig von Aster: Integration im Oderbruch – Die neuen Kinder von Golzow, Deutschlandradio Kultur, 07.02.2016

Voßberg (ein kleines Dorf iin der Gemeinde Letschin, nur wenige Kilometer entfernt von Golzow):

Svenja Pelzel: Integration in Brandenburg – So klappt Dorfleben mit Flüchtlingen, Deutschlandradio Kultur, 19. August 2015

Friedland (Mecklenburg-Vorpommern):

Benno Müchler, Benno: Friedland – Eine Stadt kämpft um mehr Flüchtlinge, Die Welt, 25.08.2015

Willkommen & Ankommen in Mecklenburg-Vorpommern – Gemeinsam weiter gestalten:

Dokumentation einer Veranstaltung am 05.03.2016, in Güstrow (pdf)

Jedoch gibt es auch ein ausgeprägt rechtes Landleben in Mecklenburg-Vorpommern:

Amadeu Antonio Stiftung: Völkische Siedler/innen im ländlichen Raum. Basiswissen und Handlungsstrategien, Berlin, 2014